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Fibie

„Weißt du?“, sagt Fibie. „Es ist egal, wie viele Tage wir auf Erden verbringen. Wichtig ist, wie wir sie verbringen.“

Fibies Worte kommen spät. Bereits seit 1,5 Stunden sind wir auf unserem Spaziergang. Sie und ihre 2 Schwestern und ihr Bruder. 1,5 Stunden, in denen viel erzählt wurde, noch mehr gelacht. In denen getobt und in denen man innig beisammen war. 1,5 Stunden, die reichen, das Gefühl zu haben, dazu zu gehören, zu kennen, wer da vor einem steht. 1,5 Stunden, die aus Fremden Verbündete und irgendwie auch Freunde machen. Die sich zusammentun aufgrund eines schweren Schicksals. Das Schicksal derer, die den geliebten Vierbeiner gehen lassen müssen. Ein trauriger Grund, der dazu führt, dass sich Menschen treffen, die sich sonst nie getroffen hätten.

Der, der sich auf den Weg macht, sorgt dafür, dass sich zu seinen Lebzeiten noch Menschen finden, die sich nicht gesucht, aber doch gebraucht haben. Und die durch ihn, über seinen Tod hinaus, verbunden bleiben.

Fibie hat mich während unserem Spaziergang gar nicht wirklich beachtet. Sie war mit ihren Augen und ihrem Herz ganz bei ihren Geschwistern. Das war ok. Ich wusste sie würde zu mir kommen, wenn sie so weit ist.

Und nun steht sie vor mir und ich schaue ihr zum ersten Mal in ihre wunderschönen großen Augen. Die Wucherung an ihrer Schnauze fällt kaum auf, wenn sie so dicht vor einem steht. Und mit dem Funkeln in ihren Augen und ihrem Strahle-Gesicht vergisst man völlig, was diese Wucherung für sie und ihre Lieben bedeutet. Fibie versteht es, Lebensfreude zu zeigen und sie auch zu fühlen. Was auch immer in ihrem Körper schlummert und dafür sorgen wird, dass ihre Zeit viel zu früh kommen wird, heute ist es nicht wichtig. Heute nicht.

Ich sehe sie an und es ist mir so, so schwer ums Herz. Ein blöder Ausdruck, ein lapidarer Satz, der es doch genau beschreibt. Ich habe das Gefühl, dass es Steine sind, die mich gerade in die Knie zwingen. Steine, die mein Herz schwer machen und mir in diesem Moment alle Kraft rauben. Da hocke ich im Gras, auf meinen Knien. Sie starrt mich an. Kein Ton. In ihren Augen steht so viel geschrieben. Ihr Blick geht so tief. Noch bevor sie ein einziges weiteres Wort sagt, ist mir alles klar. Nie vorher waren so wenig Worte notwendig, um so viel zu sagen. Um alles zu sagen. Eine innere Ruhe überkommt mich.

Ich lasse locker. Ich lasse los. Ich atme tief ein. Ich atme tief aus. „Fibie, sie lieben dich. In jeder Sekunde, die ihr zusammen seid, kann man sehen, wie sehr. Ich hätte dir so gerne mehr Tage voll von ihrer Liebe gewünscht. Es ist nicht gerecht…“ Ich stocke, ich schaue weg, ich schlucke. Ich dachte ich hätte die Kraft… Ich habe sie nicht. Aber es ist egal. Fibie versteht und lenkt ein:

„Lieber habe ich nur einen Tag um mit ihnen zusammen sein zu können, um ihre Liebe zu mir zu spüren, als alt zu werden und nicht bei ihnen zu sein. Es ist nicht wichtig, wie viele Tage uns zusammen bleiben. Wichtig ist, wie wir diese Tage verbringen und mit was wir sie ausfüllen. Meine Tage sind voll von Liebe und Zuneigung. Sie haben mir ein Zuhause gegeben. Sie haben mich zum Teil ihrer Familie gemacht. Sie haben mir jeden einzelnen Tag gezeigt, wie wertvoll ich für sie bin und wie groß der Platz ist, den ich in ihrem Herzen habe. Jeden Tag. Das ist ein Geschenk. Sie hätten mir kein schöneres machen können. Und darum kann ich in Frieden gehen. Denn auch wenn mein Leben kurz sein wird, kann ich sagen, jeder Tag mit ihnen war es wert. Meine Familie hat mich in Liebe aufgenommen und sie werden mich in Liebe gehen lassen. Das Geschenk, das sie mir gemacht haben, nehme ich mit mir mit. Es wird mir helfen, dort oben gut anzukommen und es wird mich daran erinnern, wie viel Glück ich hatte. Mein Platz in ihren Herzen wird bleiben, wie auch die Liebe bleiben wird. Ich bin froh über jeden Tag, den ich noch mit ihnen habe. Aber wenn der Tag kommen wird, an dem ich sie verlasse, wird es gut sein. Alles wird gut sein. Liebe und Frieden werden mich begleiten. Liebe und Frieden lasse ich zurück. Ich hatte Glück!“ Das sagt sie, während sie ihren Geschwistern zusieht, wie sie ein Stück entfernt beieinander stehen und lachen.

Einen Moment lang starrt sie mich wieder an. Ich nicke und lächel leicht. Ein „Ich verstehe.“. Ein „Es ist ok.“. Ein „Ich komme zurecht.“. Ein „Geh zu deiner Familie.“. Sie blinzelt mich an. „Sie sieht glücklich aus!“, denke ich, bevor sie sich wegdreht und zu ihrer Familie läuft. Ich drehe mich zu ihnen um.

Da sitze ich nun im Gras und beobachte die 4, wie sie miteinander spielen, sich jagen und rangeln. Alle 4 haben sie Glück, alle 4 sind sie glücklich. Ich drücke auf den Auslöser meiner Kamera, immer und immer wieder. Ich möchte es einfangen, dieses Glück.

Es werden Tage kommen, da werden sie das Gefühl haben, das Glück habe sie verlassen. Die Fotos werden sie daran erinnern, dass sie es in ihren Herzen suchen müssen. Dort ist es, bei Fibie. Für immer.

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